12 Thesen zu: Was braucht es, den Multilateralismus effektiver zu machen?
These 1: Vor 75 Jahren wurden die Vereinten Nationen gegründet, um verheerende Kriege zur Lösung von politischen Konflikten zu vermeiden. Was 1945 Absicht war, ist heute eine Notwendigkeit. Denn heute leben etwa dreimal so viele Menschen auf diesem Planeten und die Ausweichmöglichkeiten in Fällen von militärischen Konflikten und anderen Notlagen für die zivile Bevölkerungen werden immer geringer. Flucht und Migration von Millionen sind heute gang und gäbe, unorganisiert, chaotisch und unter menschenunwürdigen Bedingungen mit hohen Zahlen an Verletzten und Toten. Bilaterale Abkommen, wo es sie gibt, reichen nicht aus. Erst ergänzt durch kollektive Konzepte und bindende Abkommen wird ein adäquates globales Management dieser internationalen Menschenströme möglich sein. Ein Konzept liegt vor in der Form des nicht bindenden globalen Kompakts zur internationalen Migration, jetzt muss es darum gehen, bindende Instrumente, neben den Flüchtlingskonventionen, sowohl für die Ursprungs- wie die Transit und Zielländer zu entwickeln. Alle Mitgliedsländer der VN sind hier in der Pflicht in der einen oder anderen Weise. Die internationale Finanzierung sollte an die Ratifizierung entsprechender Konventionen gekoppelt sein. Beschämend ist in diesem Zusammenhang, dass die Konvention zum Schutz von Wanderarbeitern und ihren Familien zwar in Kraft getreten ist, aber kein Industrieland (Zielland) zu den Ländern gehört, die die Konvention ratifiziert haben. Wie man hört aus innenpolitischen Gründen, obwohl ja gerade eine Einhaltung der Konvention die Situation in den meisten betroffenen Ländern deutlich entspannen könnte.
These 2: Stattdessen hat die internationale Migration in vielen Ländern nationalistische politische Bewegungen wiederbelebt. Freier internationaler Handel und Erleichterungen für Auslandsinvestitionen, oft verbunden mit Digitalisierung von Produktionsstätten in den alten Industrieländern haben einerseits die Kapazität der Politik und nationalstaatliche Autoritäten überfordert, andererseits erzkonservative Politiker an die Macht gebracht, die mit multilateralen Aktionen nichts anfangen können. Private Unternehmen sind international vernetzt, ebenso wie Wissenschaft und Forschung. Nur im öffentlichen Bereich hapert es. Dabei haben gerade die wenig geregelte Wirtschaftstätigkeit über nationale Grenzen hinweg, zu globalen Problemen geführt, wie zum Beispiel den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität und die Verschmutzung der Weltmeere. Nur durch multilaterale Absprachen, Aktionen und bindende Abkommen, können alle Regierungen in den Stand versetzt werden zur Lösung globaler Herausforderungen beizutragen.
These 3: Multilateralismus muss aktiv sein! Das heißt, die Mitglieder der VN wachen darüber, dass alle ihren Beitrag leisten. Die UNO ist das Sekretariat und unterstützt multilaterale Aktionen, u.U. mit gezielter technischer Hilfe. Aber die UNO ist der TÜV, nicht die Reparaturwerkstatt.
These 4: Allerdings gehört zur TÜV Funktion, dass die UN Organisationen ständig, und für jeden einsehbar, die globale Lage beobachten und durch solides Datensammeln das Monitoring der globalen Situation vorantreiben. Zwar sollten die UN Organisationen der Custodian globaler Daten und entsprechender Datensätze sein, zu dieser Aufgabe kann aber ohne Weiteres gehören, dass sich die UN Statistiker mit universitären und anderen Forschern und Statistikern vernetzen, und deren Daten übernehmen. Im Moment sind nur einige UN Organisationen in diesem Bereich optimal aufgestellt. Das muss sich ändern.
These 5: Ebenso muss sich ändern, dass Regierungen die Daten akzeptieren, und nicht immer gleich ablehnen, wenn diese kein gutes Bild ihres Landes darstellen. Schwachpunkte können nur dann überwunden werden, wenn sie bekannt sind. Das sollte die goldene Regel sein, auch für nationale Schwergewichte wie die USA, China und die EU.
These 6: Wir brauchen einen Konsens, dass nicht die Größe des Wirtschaftsvolumens und die Militärmacht für die internationale Stellung/Rang eines Landes entscheidend sein sollen, sondern die nachhaltige und menschenrechtskonforme Politik, die ein Land verfolgt. Diesen Ländern sollte Führungsrollen in den UN Gremien, einschließlich dem Sicherheitsrat, gegeben werden.
These 7: Wir müssen raus aus den ideologischen Gegensätzen, die noch vom Kalten Krieg herüberreichen. Politische und zivile Freiheiten und wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Gegensätze zwischen China, Russland und den USA und ihren jeweiligen befreundeten Ländern oder Verbündeten gehören in den Mülleimer der Geschichte. Wobei es ohne Weiteres verschiedene nationale und regionale Ansätze geben kann.
These 8: Bevölkerungsstarke Länder müssen an der Gestaltung globaler Politik federführend mitwirken, d.h. Indien, Nigeria, Brasilien, die in den nächsten 50 Jahren zu den bevölkerungsstärksten Ländern gehören werden. Maßstab für eine solche gestaltende Rolle im multilateralen Kontext muss dabei der „Schutz der Menschenrechte“ und die Politik der Nachhaltigkeit sein. Bisher sind die Regierungen der eben genannten Länder nicht durch globales und multilaterales Engagement hervorgetreten.
These 9: Nur wenn wir in allen Ländern umdenken, werden wir es schaffen kollektiv formulierte Lösungen für globale Probleme zu finden. Internationale Politik, die auch in absehbarer Zeit von den Aktionen der Nationalstaaten bestimmt sein wird, braucht neue Leitlinien und Ansätze, die sich an Nachhaltigkeit, sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit und politischer Beteiligung orientieren. Aber auch einen zivilisierten Umgang miteinander. Den Führer eines anderen Landes als „killer“ zu bezeichnen, gehört sicherlich nicht zu einem angemessenen Umgangston und Stil.
These 10: Erst, wenn wir dies schaffen, wird es gelingen, Realpolitik und multilaterale Politik in Einklang zu bringen. Im Moment dominieren in den multilateralen Organisationen und Gremien nationale Interessen, in Zukunft muss es aber genau umgekehrt sein. Als einen ersten Schritt sollten die Mitgliedersländer der UN, die 5 Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates daran erinnern, dass ihnen qua Charta eine besondere globale Verantwortung übertragen wurde. Deshalb sollten Blockaden aus nationalstaatlichem Interesse eines oder zweier Mitglieder in Zukunft nicht mehr möglich sein. Generell sollte die Erreichung der Agenda 2030 ein übergeordnetes politisches Konzept darstellen, in das sich privatwirtschaftliche und nationalstaatliche Interessen einordnen. Letztere werden dabei zu Mitteln für die Umsetzung von globalen Agenden und nicht zu Gegenkräften, die das Erreichen globaler Ziele erschweren.
These 11: In der Übergangszeit wird es darum gehen, wirksame Kompromisse zu finden. Diese aber auch als solche zu sehen und zu verstehen. International in einem nationalen Konflikt zu intervenieren, sollte die ultima ratio sein, und grundsätzlich nur mit einem Mandat des Sicherheitsrates durchgeführt werden. Aber die langjährigen Bürgerkriege in Syrien und Jemen mit ihren internationalen Auswirkungen erfordern ein Umdenken, und ein sehr viel tatkräftigeres Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft als bisher. Humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung, so notwendig sie ist, reicht heute nicht mehr aus.
These 12: Um nationale, regionale und globale Schwachpunkte zu überwinden, braucht es einen besser ausgestatteten Werkzeugkasten der multilateralen Gremien und Organisationen. Ermahnungen durch den Sicherheitsrat und/oder Sanktionen allein bringen es nicht. Die Charta sieht viele Mittel und Wege vor, die bisher nicht immer ausgeschöpft worden sind, und daher wurden diese, oder auch neue, nicht auf Erfahrungen aufbauend weiterentwickelt. Zum Beispiel arbeitet der Sicherheitsrat viel zu wenig mit den regionalen Organisationen zusammen, um Frieden und Sicherheit in den Ländern, wo es eine Krise gibt, über Vermittlung oder auch durch friedenssichernde Maßnahmen, die Bevölkerung vor bewaffneten Kämpfen zu schützen. Das letzte Mal, das dieser Weg erfolgreich begangen wurde, war unter Kofi Annan in Westafrika. Aber auch Myanmar (ASEAN), Venezuela (OAS) könnten von solchen Vermittlungsbemühungen unter einem Mandat des Sicherheitsrates, Lösungen bringen, die uns heute verschlossen sind, zum Leidwesen von Millionen Menschen, in deren Namen die Vereinten Nationen vor 75 Jahren gegründet wurden.