Russischer Angriff auf die Ukraine und ein erster russischer Friedensplan

Medwedews Vorschläge vom 26.5.2023, wie der Krieg zu beenden sei.

Dies ist eine gute, und eine sehr schlechte Nachricht. Gut ist sie, weil sie zeigt, dass es Stimmen im Kreml gibt, die den Krieg beenden möchten, aus welchen Gründen auch immer. Sehr schlecht ist die Nachricht, weil sie zeigt, wie tief die heutige Führung im Kreml in der alten russischen Ideologie verfangen ist, die da sagt: Der Kreml hat eine Schutzverpflichtung für die „russische Welt“, und um diese zu gewährleisten, müssen alle Russen der staatlichen Hoheit Moskaus unterstellt sein oder werden, wenn nötig, auch mit Gewalt, wie man in der Ukraine sehen kann. Im Einzelnen hatte Medwedew vorgeschlagen, den Donbass in die russische Federation einzugliedern, die westlichen Teilen der Ukraine in die dortigen Nachbarländer und im mittleren Teilen eine Abstimmung abzuhalten, um die Bevölkerung entscheiden zu lassen, wohin sie gehören wollen. Die zugrundeliegende Denkhaltung ist so menschenverachtend und der Politik von vorgestern verpflichtet, dass man auf den Vorschlag als solchen gar nicht eingehen muss. Aber es gibt andere Aspekte, über die mit Russland ein Dialog angestrebt werden muss.

Mit der Wiederbelebung der jahrhundertealten politischen Doktrin einer zu bewahrenden russischen Welt in Europa und Asien verlässt Moskau endgültig den weltweiten Konsens, den die Welt mit der VN Charter 1945 geschaffen hat, die den Nationalstaat als Grundbaustein des internationalen Systems bestimmt. Zwar setzt auch die VN Charter den Nationalstaatenprinzip eine gewisse Grenze mit dem Selbstbestimmungsrecht, aber im Falle der Ukraine ist das ziemlich eindeutig: die überwältigende Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung möchte in einem von Russland unabhängigen Staat leben. Folgerichtig haben deshalb mehr als 140 Staaten von 193 Mitgliedsländern den russischen Angriff auf die Ukraine mehrfach verdammt; bei einer der letzten Resolutionen der Generalversammlung stimmten selbst China und Indien zu, die sich bis dahin immer der Stimme enthielten.

Es gibt also Bewegung sowohl auf russischer wie auf der Seite der internationalen Gemeinschaft. Aber werden diese zu einer Verhandlungsbasis führen, um ein Ergebnis zu erzielen, dass beide Seiten akzeptieren können? Ich fürchte, dass dies nicht, noch nicht, der Fall ist. Zu weit liegen beide Seiten auseinander in ihrem Verständnis für den Angriff und seine Berechtigung bzw. Illegalität.

Nun ist es unbestreitbar, dass viele politische Entwicklungen aus dem Ruder gelaufen sind seit 1945, und ganz sicherlich seit 1990, als die Sowjetunion zusammenbrach, und die USA als einzige Weltmacht übrigblieb. Statt sich aber für Frieden, Toleranz und Kooperation stark zu machen, wie am Ende und nach dem Ende des 2. Weltkrieges, entschloss sich die politische Führung der USA (sowohl auf der Seite der Demokraten wie auch auf der Seite der Republikaner) zu einer hegemonialen Politik, nicht mit Gebietseroberungen, aber eindeutig mit ihrer Wirtschafts- und Kulturpolitik, die sie um die Welt trugen. Wenn der Widerstand dagegen zu heftig war, wurde auch militärisch interveniert, mit, aber meistens ohne ein Mandat des VN Sicherheitsrates. Die unmittelbaren Anlässe waren entweder Korruption, despotische Regierungsführung oder terroristische Angriffe gegen US Einrichtungen und ihrer Verbündeten. Nicht immer, wurden Entscheidungen gefällt auf der Basis von eindeutigen Tatsachen, wie der US Angriff 2003 auf den Iraq zeigte. Zurecht wies damals Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, darauf hin, dass diese US-amerikanische Militäraktion einen Bruch des internationalen Rechts darstellte, so wie der heutige Generalsekretär, Antonio Guterres, es ebenso tat in Bezug auf die russische Invasion in der Ukraine.

Der Unterschied zwischen den beiden Generalsekretären liegt allerdings darin, dass Kofi Annan den Dialog immer suchte, um zu einer friedensbildenden Politik zu finden, während Antonio Guterres verstummt ist. Er hat sich öffentlich nicht zu seinem Schweigen geäußert, aber nach dem Abschluss des Getreideabkommens, sagte er, dass er noch nie an solchen komplizierten Verhandlungen teilgenommen habe. Daraus kann man wahrscheinlich ableiten, dass er schweigt, weil er keinen Weg sieht für die Vereinten Nationen, die komplizierte politische Gemengelage zu beeinflussen in Richtung der Einhaltung der VN Charter und des internationalen Friedens.

Aber selbst wenn der VN Generalsekretär verstummt ist, so suchen doch einige Mitgliedsländer der Vereinten Nationen den Dialog sowohl mit Moskau wie mit Kiew und seinen Unterstützern. Und das ist zu begrüßen. So gibt es einen chinesischen Friedensplan und einen chinesischen Sonderbotschafter, der sich allerdings einer sehr großen Skepsis zu erwehren hat. Zu groß ist das Mistrauen in Washington, Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten bezüglich Chinas Motivation für diese angebotene Vermittlerrolle. Es werden Ende Juni 6 afrikanische Staatschefs auf Initiative des südafrikanischen Präsidenten nach Moskau und Kiew reisen, um Gespräche zu führen. Sie wollen erkunden, wie, wann und wo eine friedliche Lösung zu finden sein könnte. Auch Brazilien hat solche Erkundungsgespräche geführt.

In den letzten Tagen wurde bekannt, dass die Ukraine zu einer Friedenskonferenz für Ende Juli nach Kiew einladen wird, allerdings keine Einladung an Russland und Belarus plant. So verständlich dies ist, angesichts der fortdauernden russischen Angriffe auf zivile ukrainische Ziele, aber ist es auch klug? Sollte nicht wenigstens Außenminister Lawrow und der belarussische Außenminister teilnehmen können? Denn, wie immer ein eventueller Friedensschluss aussehen wird, ohne Verhandlungen mit Russland wird es nicht gehen. Je häufiger Gelegenheiten gesucht werden, der russischen Führung zu vermitteln, dass sie völkerrechtlich im Unrecht ist, und ein radikales Umdenken in Bezug auf Russlands geopolitische Bedeutung und Verantwortung notwendig erscheint, desto größer werden die Chancen, akzeptable Lösungen für alle Beteiligten zu finden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu beachten, dass Moskau kürzlich erfolgreich eine Vermittlerrolle im Streit zwischen Armenien und Azerbaijan über Bergkarabach übernahm. Irgendwo im russischen System gibt es also Politiker und Beamte, die sich um Frieden bemühen, ohne eine russische Übermacht anzustreben.

Diese Kräfte müssen gestärkt werden, denn nur sie werden Russland aus der augenblicklichen politischen Isolation führen können.

Autor: Kerstin Leitner

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