Bedrohungen für Demokratien: durch wen, wie und durch was?

Am Anfang des neuen Jahres ereilt uns die Nachricht, dass der gescheiterte österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, global strategist bei dem kalifornischen Investor Peter Thiel wird. (SZ vom 2.1.2022) Die Überschrift des Artikels lautete „Willkommen bei der Burschenschaft der Visionäre“. Angesichts der Ermittlungen gegen Kurz durch die Justiz weckte diese Überschrift mein Interesse. Denn, was bitte war am bisherigen Verhalten von Sebastian Kurz visionär?

Wie der Artikel schnell klarstellt, es war nur eins. Sebastian Kurz verkörpert einen Politiker, der demokratische Kontrollen für anachronistisch hält und die Pressefreiheit für überflüssig. Durch seine eigenen Netzwerke setzte er sich über bestehende Regeln und Kontrollen hinweg, wenn sie seinen Machterhalt nicht dienten. Doch er ist gescheitert an denen, die diese Regeln und Kontrollen für wichtig und richtig halten. Nun sucht er den Schulterschluss mit Vertretern der Wirtschaft, die ebenso denken wie er, wie z.B. Peter Thiel. Ein Deutscher, der in Kalifornien erfolgreich in der Technologiebranche investiert hat, und zu viel Reichtum gekommen ist, den er für politische Ziele einsetzt. So unterstützte er den ersten Wahlkampf von Donald Trump, aber nicht den zweiten. Als jemand, der langfristig denkt, setzt er jetzt auf jüngere Vertreter der Republikanischen Partei, die aus seiner Sicht als eine bessere Garantie für die Realisierung seiner Vorstellungen dienen können. Eine solche Förderung von konservativen Politikern verbunden mit den skrupellosen Veränderungen von Wahlbezirken, um republikanische Mehrheiten bei Wahlen zu erhalten, und die Benachteiligungen von Wählern in armen Bezirken, die mehrheitlich die Vertreter der demokratischen Partei wählen, macht aus der amerikanischen parlamentarischen Repräsentanz der Bevölkerung eine Farce.

Dieses Machtstreben der Konservativen gepaart mit einer unglaublichen Ignoranz anderer Gesellschaften und deren politischen Prioritäten stimmt nachdenklich und lässt die kluge und großmütige Politik der amerikanischen Regierung unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg gegenüber Europa und Japan verblassen. Zwar war der Marshallplan weniger altruistisch als er zunächst erschien, aber diese Politik war so viel mehr der Vernunft als der heutigen „Aug um Auge, Zahn um Zahn“ Politik verpflichtet. Die amerikanische Demokratie und damit auch die demokratischen Systemen in anderen Ländern werden weniger durch autoritär regierte Länder in Frage gestellt, als vielmehr durch selbstsüchtige und kurzsichtige Interessen von nach Macht strebenden Politikern und ihren Unterstützern.

„Zero to One“

Peter Thiel hat seine Vorstellungen 2012 in einem Seminar an der Stanford Universität vorgetragen. Einer seiner damaligen Studenten machte detaillierte Notizen, auf deren Basis Thiel zusammen mit diesem Studenten, Blake Masters, 2014 ein Buch unter dem Titel „Zero to One.  Notes on Start Ups or How to Build the Future“ veröffentlichte. Die Grundprämisse dieses Buches ist, dass Technologie Fortschritt ist, Reichtum schafft und uns aus dem naturgegebenen Zyklus herausnimmt. Thiel postuliert, dass mit Mithilfe der Technologie der Mensch sich seine Welt selbst gestalten und schaffen kann. Er meint, nur immer neue Ideen können die Zukunft besser machen als die Gegenwart. Aber was heißt besser und was ist an der gegenwärtigen Situation nicht ausreichend? Darauf bleibt Thiel die Antwort schuldig. Stattdessen nutzt er seinen Reichtum, um die Politik in den USA mitzubestimmen, umd setzt auf neue Technologien, die ihn reicher machen, wie die Kryptowährung und die Pharmaindustrie, die psychodelische Produkte entwickelt und herstellt. Nur, schafft das eine bessere Welt als die heutige für den Einzelnen und für die gesamte Gesellschaft in den USA und für den Rest der menschlichen Gesellschaft?

Eigentlich müssten uns die Ansichten von Herrn Thiel nicht weiter scheren, es sei denn wir sind in der start up Szene tätig. Es ist auch weniger seine unternehmerische Tätigkeit, die beunruhigt, als vielmehr seine Bemühungen, die etablierten Grenzen zwischen den Mächtigen in der Wirtschaft und den Mächtigen in der Politik zu verwischen. Deshalb holt er sich jemanden wie Sebastian Kurz, der für ihn wertvolle Kontakte in die Politik mitzubringen verspricht. Man kann nur hoffen, dass die Politiker, mit denen Kurz während seiner Zeit als Bundeskanzler im Kontakt war, heute zu ihm in seiner neuen Stellung auf Distanz gehen. Die in manchen Ländern bestehende Regel, dass ein Politiker 2 Jahre warten muss, bis er in der Wirtschaft und in anderen Bereichen wieder eine Führungsposition einnimmt, schützt vor Machtmissbrauch, und wird andernorts auch als ungeschriebene Regel beachtet. Und das ist auch gut so.

Neue Technologien ja, aber nicht um jeden Preis

Zwar ist die Kreativität der start up Szene sehr attraktiv, und die Politik sollte diese Kreativität schützen und, wenn möglich, fördern. Aber dennoch brauchen wir auch eine Politik, die demokratische Werte wie Fairness, soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit immer wieder im wirtschaftlichen Geschehen schützt und bewahrt. Auch dafür brauchen wir kreatives Denken und Verhalten. Wir brauchen eine Politik, die uns immer wieder ermöglicht öffentlich zu diskutieren, welchen technologischen Fortschritt wir als Gesellschaft als wünschens- und erstrebenswert ansehen. Vieles ist denkbar, aber muss deshalb nicht unbedingt gemacht werden. Und wir brauchen Wirtschaftsführer, die sich dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlen, und entsprechend in ihren unternehmerischen Tätigkeiten handeln. Bei Peter Thiel sind da wohl Zweifel angebracht, und bei Sebastian Kurz auch.

Bauen wir also unsere demokratischen Netzwerke aus, die es uns ermöglichen kreativ die Welt nachhaltig zu gestalten, so dass Armut, Hunger, Umweltzerstörung und kriegerische Bedrohungen zur Vergangenheit gehören. Wenn uns neue Technologien dabei helfen können, z.B. künstliche Intelligenz, wunderbar. Wenn nicht, sollten wir keine Energie und Ressourcen in ihre Entwicklung stecken.  Wir werden mit einem offenen demokratischen Prozess nicht im Paradies landen, aber in einer Welt, wo jeder ein lebenswertes Auskommen hat, und nicht nur eine kleine, reiche Minderheit, die uns vorgauckelt jede technologische Veränderung sei Fortschritt und zu unserem Besten.

Autor: Kerstin Leitner

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