Krieg in Europa

Wie kommen wir da wieder raus?

Nun ist schon seit über 3 Monaten Krieg in Europa, und ein Ende ist nicht abzusehen. Geführt wird dieser Krieg militärisch, wirtschaftlich, psychologisch und mit einer Kommunikation auf beiden Seiten, die eher das Kämpfen als die Beendigung des Kampfes betont.

Drei Möglichkeiten eines Kriegsergebnisses zeichnen sich ab: ein Machtwechsel im Kreml, eine Ausweitung des Kriegsgeschehens über die Ukraine hinaus, oder eine diplomatische Lösung mit Kompromissen auf beiden Seiten. Nur die letztere ist die Lösung, die Nachhaltigkeit verspricht, und ein Umlenken des Geschehens hin zu Kooperation, Wiederaufbau und Aussöhnung. Nur wie kommen wir dahin?

An Vermittlungsversuchen hat es nicht gefehlt, auch nicht an Appellen die kämpferischen Handlungen einzustellen. Nur gefruchtet haben sie nicht. Müssen wir also hinnehmen, dass wir machtlos einem politischen und militärischen Geschehen ausgeliefert sind?

Ist der Krieg alternativlos?

Ich meine nein, das müssen wir nicht. Aber wir müssen uns sehr viel mehr anstrengen, ein Umdenken auf beiden Seiten des Kampfes zu erreichen, und das damit verbundene andere Verhalten und Handeln der politischen Führungen. Seit dem 24.2. leben wir nämlich in zwei parallelen Welten: einer, die auf die Macht der Stärke setzt, und eine andere, die sich auf Vernunft, Dialog, Kompromisse und das freiwillige Einhalten von Gesetz und Recht verlässt. Natürlich sind die Grenzen zwischen diesen beiden Welten fließend, und in der letzteren hat es oft die Demonstration der Macht gegeben, ohne Bereitschaft zum politischen Kompromiss, lediglich zum einseitigen politischen Einlenken. Unabhängig wie man zur Weltsicht der heutigen russischen Regierung steht, das hegemoniale Verhalten der USA nach 1989 und die politische Kurzsichtigkeit der EU, die sich mehr mit sich selbst als mit den Machtverhältnissen in der Welt beschäftigte, sind zwei Faktoren, die wir nicht übersehen sollten bei einer Analyse, wie es zum Krieg in Europa kommen konnte.

Wie sind wir in diese Situation geraten?

Was auffällt ist, dass wir zum Zeitpunkt, wo ich diese Zeilen schreibe, noch längst nicht alle unsere Karten voll ausgereizt haben. Einige haben wir sogar falsch eingesetzt in diesem politischen Machtkampf, um zu einem nicht-militärischen internationalen Wettbewerb zu kommen.

Wir haben Fehler gemacht. Wir haben die russische Regierung und die verheerende Sprengkraft der panrussischen Philosophie unterschätzt. Wir haben in Russland wirtschaftlich investiert, aber in erster Linie um Geschäfte zu machen. Wir haben unterschätzt, welche Kräfte in der russischen Gesellschaft am Werk sind. Wir haben versäumt die politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit so zu führen, dass auch in Russland zukunftsorientierte, kooperative und weltoffene Kräfte in der russischen Gesellschaft Gehör und Einfluss erhalten bleiben. Stattdessen haben wir auf einzelne Oppositionelle gesetzt und auf die Unterstützung einiger zivilgesellschaftlicher Organisationen, während wir tatsächlich die wahren Kräfte der Macht: Kirche, Sicherheitsorgane des Staates und Medien ausklammerten. Wir haben uns wenig um ein Verständnis und eine wissenschaftlich begründete Analyse des post-sowjetischen Russlands bemüht, sondern uns mehr über Missstände, Cyberangriffe und die russische Unterstützung des rechten politischen Spektrums in westlichen Demokratien empört. Wir haben uns nicht gefragt, wer oder was diese Handlungen begründet, und wiegten uns in einer falschen Sicherheit. Viel früher hätte abgewogen werden müssen, inwieweit wirtschaftliches Handeln zu einem Wandel führt, und wann wir uns zurückhalten müssen, um unsere eigenen Werte und gesellschaftlichen Vorstellungen nicht zu kompromittieren. Nach der Besetzung der Krim kam die deutsche Regierung mächtig unter Druck von Vertretern der Wirtschaft in Bezug auf die verhängten Sanktionen gegen Russland, aber diese Auseinandersetzung ist unumgänglich und das Primat der politischen Interessen und gesellschaftlichen Werte müssen in solchen Situationen gewahrt bleiben. So wie es zur Zeit der Fall ist.

Wir haben auch noch andere Fehler gemacht. Die wirtschaftliche Globalisierung hat eine geopolitisch multipolare Welt entstehen lassen. Nur wir haben uns nicht darauf eingestellt. Zu lange haben wir daran festgehalten, dass unsere neoliberale Politik und unsere demokratische Tradition das Muster für alle sein sollen. Nun stehen wir vor den Scherben unserer Politik und wissen kaum weiter, wenn es so aussieht, dass die Herrschaft des Stärkeren sich gegen die Herrschaft des Rechts durchsetzt.

Welche Alternative zeichnet sich ab?

Im Moment erscheint es, dass Russland kriegerisch die Lage zu seinen Gunsten wenden kann. Es setzt neue lokale politische Führungen in den Gebieten unter seiner Kontrolle ein, und es wird die Angriffe auf andere Teile der Ukraine fortsetzen. 14 Millionen Ukrainer sind auf der Flucht, und die Zerstörungen im Land sind enorm. Letztere kann man wieder aufbauen; aber wie die Menschen, die vor den Kampfhandlungen geflohen sind oder in ihren zerbombten Städten ausharrten, mit dem Erlebten umgehen werden, ist ein großes Fragezeichen. Wird Fatalismus oder Hass, wird aktiver Widerstand oder passive Anpassung an die veränderten politischen Verhältnisse die Langzeitfolge sein? Es ist unmöglich, dies heute vorherzusagen. Aber wie auch immer die politische Lage sein wird, sie wird geprägt sein vom Leiden, den Verlusten und den Erlebnissen der letzten Monate.

Darüber hinaus sieht es so aus, dass es wieder eine Demarkationslinie in Europa, und wahrscheinlich in anderen Regionen der Welt geben wird. Wirtschaftlich wird es zu Entflechtungen der beiden politischen Blöcke kommen, und zu mehr Verflechtungen innerhalb der Blöcke. Globale Herausforderungen wie der Klimawandel, Pandemien, soziale Ungleichheiten werden nur sporadisch und sicherlich nicht ausreichend angegangen werden. Welche Auswirkungen diese Entwicklungen für die globale Bevölkerung bedeuten, lässt sich noch nicht abschätzen, aber eine Verbesserung des heutigen Zustandes werden sie für viele Menschen nicht bringen.

Nun zurück zu meiner These, dass wir noch nicht alle unsere politischen Karten voll ausgereizt haben.

Welche anderen Alternativen haben wir?

Wie viele bin ich der Meinung, dass wir uns nicht genügend für eine diplomatische Lösung eingesetzt haben. Zu bereitwillig haben wir uns unter der Führung der USA auf eine militärische Machtprobe eingelassen, und haben andere Lösungsansätze vernachlässigt. Der deutsche Kanzler ist verstummt, nachdem Putin auf seine Aufforderungen zur Mäßigung nicht eingegangen ist. Er hat die Bewaffnung der Ukraine nur halbherzig verfolgt, übrigens ebenso wie Präsident Macron und andere europäische NATO Partner. Der Kanzler hat ein Gespräch mit Präsident Selenskyj bisher abgelehnt, obwohl er eigentlich wissen müsste, dass die Ukraine das Minsker Abkommen nicht eingehalten hat. Ein erstaunliches Eingestehen politischen Unvermögens, auch unangenehme Wahrheiten so auszusprechen, dass sie gehört werden, von den Menschen in Deutschland, in Europa, und den Führungen in Russland und der Ukraine. Zwar hat er seine Sicht der Dinge in Davos dargelegt. Die dort formulierte Vision einer funktionierenden multipolaren und globalisierten Welt ist gut, aber wie kommen wir dahin?

Eindeutig sind wir den Ukrainern unter Präsident Selenskyjs Führung zu Dank verpflichtet. Nicht nur haben sie uns gezeigt, dass man sich gewalttätiger Politik entgegenstellen kann und muss. Sie haben uns auch eine Chance eröffnet, die augenblickliche geopolitische Krise zu nutzen, um im Geiste der Charta der Vereinten Nationen die Zukunft der Menschheit in allen Ländern zu gestalten. Aber es sieht nicht so aus, dass die Chance ergriffen wird, denn dafür müssten wir uns sehr anders verhalten.

Es fängt mit dem Generalsekretär Antonio Guterres an. Er unternahm erst eine Reise nach Moskau und Kiew nachdem mehr als 200 ehemalige VN Mitarbeiter ihn daran erinnerten, dass er sich qua Amt aktiv einschalten muss. Seit seinem Besuch hat er den direkten Kontakt zu Moskau und Kiew wohl wieder eingestellt, obwohl es eine dringende Aufgabe wäre, die russische Seeblockade von Odessa aufzuheben, um die dort gelagerte Getreideernte zu exportieren. Die Vereinten Nationen haben solche Operationen in anderen Kriegsgebieten schon vor Jahren durchgeführt, und es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass dies in diesem Falle nicht auch gelingen würde. Nur aktiv muss der Generalsekretär schon werden, und nicht nur die drohende Hungerskatastrophe in anderen Teilen der Welt beklagen. Russland hat in den letzten Tagen Bereitschaft signalisiert, den Getreideexport zu ermöglichen, fordert aber als Gegenleistung eine Lockerung von westlichen Sanktionen. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass der Generalsekretär hier vermittelnd eingreift. Siegeserwartungen auf der westlichen Seite führen uns nicht weiter, auch wenn uns die Rechnung für internationale Arroganz und Überheblichkeit, die wir in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt haben, nicht passt. Nur ein Verhandeln über Leistungen und Gegenleistungen werden uns dem Ende des Krieges näherbringen. Und nicht nur Moskau und Kiew, sondern auch Washington und Brüssel sind hier betroffen, schrittweise uns dem Ende der kriegerischen Handlungen zu nähern.

Der euopäische Krieg hat globale Auswirkungen: die Beendigung muss global angegangen werden

Die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen müssen diese Krise nutzen, um die Eingriffsmöglichkeiten und die Vermittlerrolle der Vereinten Nationen in allen akuten Konfliktfällen zu stärken. Deutschland hat in den Vereinten Nationen Gewicht und ein großes Ansehen. Leider wuchert die augenblickliche deutsche Regierung nicht mit diesem Pfund. Denn unabhängig von den sicherlich wichtigen bilateralen bzw. trilateralen Initiativen seitens des deutschen Kanzlers und des französischen Präsidenten mit dem russischen Präsidenten im direkten Kontakt zu bleiben, müssen diese Initiativen unterfüttert werden mit Initiativen in multilateralen Organisationen, nicht nur in der EU, sondern auch in den Vereinten Nationen. Eine gewisse Distanz zu den USA ist dort nicht vermeidbar, aber Washington wird diese europäische Distanzierung zu den Siegesvorstellungen amerikanischer Politiker zu nehmen wissen.

Der allseits bekannte Ausspruch von Dag Hammerskjöld, dass die Vereinten Nationen der Menschheit nicht den Weg in den Himmel bereiten, sondern den Weg in die Hölle vermeiden helfen, gilt auch heute noch. Aber im Moment bewegen wir uns eher auf die Hölle eines dritten Weltkrieges zu als zu einer neuen internationalen Sicherheitsarchitektur. Um diesen Weg in die Hölle zu verlassen, müssen wir uns bemühen, Schritt für Schritt in die andere Richtung zu gehen.

Schritt für Schritt den Weg aus dem Krieg finden

Einer der ersten kann und muss sein, den Export von russischem und ukrainischen Getreide in andere Regionen zu ermöglichen. Dazu braucht es eine russische und eine westliche Suspendierung von einerseits der militärischen Blockade der Häfen und andererseits der Aufhebung einiger Sanktionen, z.B. die Bezahlung des Getreides in US $ sowohl an Russland wie die Ukraine, aber mit der Maßgabe, dieses Einkommen nicht für weitere militärische Ausgaben zu verwenden.

Ein zweiter Schritt könnte darin bestehen, dass die NATO Staaten sich verpflichten, keine weiteren Waffen mehr an die Ukraine zu liefern, sobald die russischen Truppen die Kampfhandlungen in der ganzen Ukraine einstellen, und ihre Truppen zurückziehen auf eine Linie, wo die Versorgung dieser Truppen aus Russland sicher gestellt werden kann, um so weitere Plünderungen in der Ukraine zu vermeiden.

Der Generalsekretär und die Organe der Vereinten Nationen ebenso wie die anderer, multilateraler Organisationen (z.B. EU, Afrikanische Union, ASEAN, Arabische Liga) haben hier eine wichtige Rolle zu spielen, um diese Schritte einzuleiten, durchzuführen und damit das Vertrauen wieder herzustellen, dass Konflikte mit anderen als mit kriegerischen Handlungen und Sanktionen gelöst werden können. Wir wissen nur zu gut, dass diese eben nicht zu einer Lösung, bestenfalls zu einer Pattsituation führen. Die Pattsituation während des Kalten Krieges dauerte Jahrzehnte, eine erneute internationale Frontstellung würde vermutlich nicht kürzer sein, und würde viel Kraft (z.B. feindselige Berichterstattung in den Medien) und finanzielle Ressourcen in Aufrüstung und zerstörerische Attacken (z.B. Cyberangriffe) kosten, die wir eigentlich in andere Bereiche investieren sollten (Bekämpfung des Klimawandels, von Pandemien und sozialen Ungleichheiten).

Nur Innovation, Ausdauer und Verständnis führen zum Erfolg

Um diese Kehrtwende zu schaffen, brauchen wir Reformen der bestehenden Organisationen, die die jeweiligen Schritte ermöglichen und deren zügige Durchführung zulassen. Innovation, aber vor allem Ausdauer ist hier gefragt. Eines der kleinsten Mitgliedsländer der Vereinten Nationen zeigt uns hier wie es geht. Liechtenstein ist seit Jahren aktiv in Sachen VN Reform, viele der Vorschläge fanden keine Umsetzung, aber dieses Mal hatten sie Erfolg. Wenn der Sicherheitsrat in Zukunft in einer Sache blockiert ist, wird die Behandlung automatisch an die Generalversammlung überwiesen. Ein nächster Schritt wäre, wenn die GV dann einen Beschluss mit 2/3 Mehrheit fasst, dann ist dieser ebenso bindend wie ein Beschluss des Sicherheitsrates.

In Essenz, die jetzige Krise muss genutzt werden, um die geopolitische Situation und ihre Organisationen an die Herausforderungen einer globalisierten Welt anzupassen. Deutschland als einer der größten Beitragszahler der VN, vertreten durch allgemein anerkannt hervorragende Diplomaten sollte eine deutlich wahrnehmbare Rolle spielen, um diese multilaterale Organisation für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu wappnen.

Autor: Kerstin Leitner

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