„In die Sonne schauen“

Ein ärgerlicher Film

Mascha Shilinskys Film findet viel Anerkennung, in Cannes, vielleicht bei den Oscars, beim ZDF als Koproduzenten. Die Besprechungen sind vage, aber im Ton immer positiv. Dabei sind sie nicht einmal stimmig in ihren Beschreibungen, was da eigentlich gezeigt wird. Es ist immer von 4 Frauen die Rede. Nur welche sind das? Die Mutter vor dem 1. Weltkrieg, Erika in den 1920er/30er Jahren, die namenlose LPG Mutter und die namenlose Mutter nach der Wende? Oder sind es Alma, Trudi, die namenlose, sexbewusste Republikflüchtige und das namenlose Mädchen nach der Wende, das in seiner Einsamkeit eine Halbwaise aus der Nachbarschaft zur Freundin wählt? Warum konzentrieren sich alle Besprechungen auf 4 Frauen, genauso könnte man 4 Männer nennen, die alle als verstümmelt und verkrüppelt gezeigt werden? Natürlich spielt es auch keine Rolle, wer hier die Protagonisten und Protagonistinnen sind, denn einen Handlungsstrang gibt es nicht. Gezeigt wird eine Schar von Personen, die von etwa 1910 bis etwa 2020 auf einem düsteren Viereckhof in der Altmark wohnen. Es geht um Gefühle, unterdrückt und ausgelebt, es geht um Stimmungen, um jugendliche Selbstmordphantasien, es geht letztlich darum ein Bild der deutschen Gesellschaft zu skizzieren.

Und da fängt für mich der Ärger an. Als ich aus dem Kino kam, war ich wütend. Welch eine Verzerrung der historischen Realität! Später war ich nur noch traurig. Denn hier ergreift die Vertreterin einer Generation das Wort und die Kamera, um selektiv ein Gesellschaftsbild zu zeigen, dass die Menschen als Opfer der gesellschaftlichen Konventionen zeigt, aber nicht als Menschen, die ihr Leben gestalten können. Einzig die Magd Trudi und die LPG Genossen leisten einen gewissen Widerstand und handeln mit mitmenschlicher Empathie. Das nun wiederum ist klischeehaft, denn nicht nur Mitglieder der Arbeiterklasse kennen Mitmenschlichkeit!  Einige Sequenzen sind einfach nur kitschig, z.B. wenn die junge Frau, die ein Rehkitz im Feld vor dem Mähdrescher retten soll, darüber phantasiert sich dazu zu legen.

Nein, dies ist kein guter Film. Und es sollte uns zu denken geben, dass hier eine Generation herangewachsen ist, geschichtsverloren, mit einem negativen Blick auf die Gesellschaft, aber die sich im eigenen, persönlichen Erfolg sonnt. Geschichte spiegelt sich auch im persönlichen Leben wider, keine Frage. Aber die persönliche Geschichte von einzelnen Menschen addiert sich nicht zu einer Erzählung der Geschichte einer Gesellschaft.

Dieser Film zeigt, dass wir es nicht geschafft haben, den Aufbruch nach 1949 in Westdeutschland, und den Aufbruch in Ostdeutschland nach 1989 und die damit verbundene positive Stimmung weiterzugeben an eine jüngere Generation. Die Freiheit, die sie heute genießen, ist das Ergebnis von persönlichem Streben und gesellschaftlichem Engagement. Selbstvergessen ignorieren sie, dass dieses Erbe verspielt werden kann, wenn es nicht gepflegt wird. Torsten Körners Dokumentarfilme über den Kampf der Frauen in der BRD (Die Unbeugsamen) und in der DDR (Guten Morgen, Du Schöne) für ihre gesellschaftliche Gleichstellung zeichneten da realistisch den Wandel in der deutschen Gesellschaft nach 1945 auf. Dieser Wandel fehlt vollständig in diesem Spielfilm.

Dies ist ein Film, der mit schönen filmischen Sequenzen und geringem geschichtlichen Verständnis in die Irre führt. Sehr enttäuschend!

Autor: Kerstin Leitner

siehe Webseite

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